
Die Geschichte von Oma Neda
Das Dorf in Pirin
Seit ihrer Kindheit kannte sie jeden schmalen Weg in der Umgebung, die vertraute Landschaft veränderte sich mit jeder Jahreszeit. In den Gärten wuchs frisches Gemüse und die Äste der Apfelbäume bogen sich schwer Richtung Boden, weil zu viele Früchte daran hingen.
Das Dorf wurde allmählich leer. Mittlerweile wohnten nur noch dreißig Menschen dort und mit sechsundachtzig war sie fast die jüngste Bewohnerin. Ihre drei Kinder wohnten seit vielen Jahren im Ausland, dort hatten sie Familien gegründet und langsam kamen sie nicht mehr zu Besuch.
Als Jugendliche wollte sie studieren, aber nachdem sie die Dorfschule abgeschlossen hat, musste sie sich um ihre alten Eltern kümmern. Aus diesem Grund blieb sie hier, für immer, wie es jetzt schien. Ihr Ehemann war älter als sie und war vor ein paar Jahren verstorben.
Das Haus brauchte dringend eine Renovierung, aber sie war zu alt und zu arm, um damit anzufangen. Oma Neda wohnte jetzt fast nur noch in der Küche, denn sie hatte dort ein Bett und wegen des Ofens war es dort immer warm. Aber sie hatte eine Leidenschaft und das war das Kochen. Sie pflegte ihren Garten, hatte drei Hühner und zwei Ziegen. Von der Rente besorgte sie, was sie darüber hinaus für die Zubereitung brauchte. Da sie sowieso keinen großen Appetit hatte, brachte sie einen Großteil Gerichte zu ihren Nachbarn, die nicht mehr für sich selbst kochen konnten. Manchmal lud sie auch die Touristen ein, die den Berg besteigen wollten oder in der Umgebung wanderten.
Eines Tages kam ein junger Mann mit einem Fotoapparat zu ihr. Er hat viele Bilder gemacht, von ihr, von den Hühnern und Ziegen, von der atemberaubenden Natur. Dazu stellte er Oma Neda viele Fragen zu ihrem Leben, ihrem Alltag und so weiter. Wie alle einsamen alten Leute erzählte sie gern über ihre Jugend und ihre Kinder, bis ihr Tränen in die Augen stiegen. “Meine Kinder haben ihre Wurzeln vergessen” - meinte die weise Frau,”aber ohne Wurzeln kann weder Pflanze noch Mensch gedeihen” Der nette Mann tröstete sie und lobte ihre Gerichte, aber er musste bald weitergehen.
Ein paar Wochen später hatte der Briefträger eine Überraschung für sie - ein ganzer Haufen einer Zeitschriftenausgabe, in der Fotos von ihr und ein Beitrag mit ihrer Geschichte standen. Der Fotograf hatte so genau die Schönheit der Natur aufgenommen, dass sie mehr als stolz auf ihr Dorf stolz war.
Oma Neda hatte kein Handy - die Bedienung war zu schwierig für sie, sie zahlte nicht einmal mehr das Festnetz. Trotzdem kannte sie noch die Adressen von ihren Kindern, schnitt die Fotos aus und schickte ein paar Briefe ins Ausland.
Bald kamm der Winter ins Gebirge. Oma Neda fühlte sich schon so müde und alt und einsam. Es war ein schöner eiskalter Wintertag, als ein Auto vor ihrer Tür anhielt. Eine elegante Frau kam heraus und plötzlich umarmte sie Oma Neda. Sehr langsam und mit starkem Akzent erklärte sie, dass sie ihre Enkelin war und ihren Brief bekommen hatte. Sie war bezaubert von der wundervollen Natur und berührt von der Geschichte ihrer Herkunft. Die Enkelin entschied sich das alte Haus zu renovieren und mit ihrer Oma im Dorf zu leben.
Der Frühling brachte viel Bewegung und viele Besucher ins Dorf. Für Oma Neda war jetzt eine moderne Küche aufgebaut, aber am meisten freute sie sich darüber, dass sie wieder für ihre Familie kochen konnte.
Fotos von:
Petya
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